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SPORTaktiv Juni 2019

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ADIÓS, HORIZONT! BEIM

ADIÓS, HORIZONT! BEIM IRONMAN LANZAROTE IST SPORTAKTIV-AUTOR AXEL RABENSTEIN AN SEIN LIMIT GEGANGEN. UND SOGAR DARÜBER HINAUS: DENN DORT, WO ER SEINE GRENZEN WÄHNTE, ERÖFFNETE SICH PLÖTZLICH EIN NEUER HORIZONT. VON AXEL RABENSTEIN Fotos: FinisherPix 120 SPORTaktiv

The toughest Ironman in the world“ – so wird der Wettkampf vom Veranstalter bezeichnet. Auf 3,9 km Schwimmen folgen eine Radstrecke mit 2508 Höhenmetern und ein Marathon unter afrikanisch intensiver Sonne. Um mich darauf vorzubereiten, habe ich nicht nur meine Physis, sondern auch meinen Geist trainiert, gemeinsam mit Mentalcoach Wolfgang Seidl, der u. a. Österreichs erfolgreichsten Triathleten Michi Weiß betreut. In fünf Einheiten beschäftigten wir uns mit meinen Gedanken, entwickelten motivierende sowie beruhigende Bilder und formulierten konkrete Ziele: Mein Leistungsziel für den Ironman Lanzarote war eine Zeit von unter 12 Stunden; mein Ergebnisziel das beste Drittel der Altersklasse M40–44. Ich habe meine Ziele allesamt verfehlt. Und dennoch mehr erreicht, als ich zu träumen gewagt hätte. Vor dem Start Im Dunkeln geht’s zum Start in Puerto del Carmen. Ich denke daran, dass ich heute nicht einen extrem harten Wettkampf bestreiten muss – sondern tun darf, worauf ich mich monatelang vorbereitet habe. Heute ist mein Tag! Allerdings weiß ich bereits, dass es ein langer Tag werden wird. Der Passat hat aufgefrischt, vorhergesagt sind 5 bis 6 Beaufort. Das sind Killerbedingungen für die Radstrecke. Der spätere Sieger Frederik van Lierde, Ironman-Weltmeister von 2013, wird 8:51 h benötigen. Ich werde nach 13:42 h ins Ziel kommen, als 174. von 317 Teilnehmern meiner Altersklasse. Aber alles der Reihe nach. Denn bis dahin sollte viel geschehen. Auf der Strecke. Und in meinem Kopf. Massenstart ins Meer 7.00 Uhr, kurz vor Sonnenaufgang. Ich habe mich weiter hinten postiert, um nicht in Bedrängnis zu geraten und entspannt losschwimmen zu können. Von wegen: Der Swell schiebt gegen die Menge, die sich staut. Meine Brille beschlägt, ich kriege eine Pulsuhr an den Kopf und nehme einen Schluck Salzwasser. Panik steigt auf, aber darauf bin ich vorbereitet: Ich denke an den Delfin, den mein Coach mit mir als beruhigendes Bild entwickelt hat. Es hilft sofort. Nach ein paar Metern Brustschwimmen mit tiefen Atemzügen komme ich wieder in meinen Kraulrhythmus, schwimme die erste Runde sauber zu Ende. In Lanzarote führt ein 30-Meter-Landgang über den Strand in die zweite Runde, die ich sogar genieße. Ich steige nach 1:11h aus dem Wasser. MEINE BRILLE BESCHLÄGT, ICH KRIEGE EINE PULSUHR AN DEN KOPF UND NEHME EINEN SCHLUCK SALZWASSER. Gnadenloser Gegenwind Auf der Radstrecke wird schnell klar, was heute zu erwarten ist: ein Kampf gegen den Wind. Rund 100 der 180 km langen Strecke bläst der Nordostpassat mit 35–45 km/h von vorne. Die Straße durch die Feuerberge von Timanfaya scheint nicht enden zu wollen. Gerade einmal 60 km sind absolviert. Einige Fahrer sammeln sich in einer Gruppe. Das ist nicht erlaubt. Aber es tut so gut! Wir nutzen den gegenseitigen Windschatten, schweigend und einvernehmlich, ehe sich das Feld nach fünf Minuten wieder zu Einzelkämpfern in der Lavalandschaft zerstreut. Es ist der Anfang einer zermürbenden Reise: Der Anstieg zum Krater von Los Helechos zehrt an der Substanz. Der Wind pfeift gnadenlos. Ich fahre am Anschlag. Aber es gelingt mir, das Gefühl der Anstrengung in positives Empfinden zu verwandeln: Ich bin so nahe bei mir wie lange nicht mehr! Diesen Stimmungswandel habe ich mit meinem Coach geübt. Und es funktioniert. Beinahe scheine ich das Brennen in den Beinen zu genießen, ich visualisiere in der Sonne glänzende Muskelfasern, bleibe für einige Minuten in diesem Flow – bis ein Ire, an den ich mich herangekämpft habe, eine Salamisemmel aus dem Trikot fummelt und genüsslich hineinbeißt. Das Bild meiner Muskelfasern zerplatzt. Stattdessen schwöre SPORTaktiv 121

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