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SPORTaktiv Juni 2019

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An vorderster Front:

An vorderster Front: Toni Innauer (rechts) in seiner Zeit als ÖSV-Funktionär mit Österreichs Vorzeigesportler Felix Gottwald. aufgeholt – im negativen Sinn. Auch unsere Kinder sind motorisch nicht mehr auffälliger. Wir haben mit der zivilisatorischen Schwächung mitgezogen. Das sieht man auch an den Aufnahmetests in Stams, dass die Kinder vor 20, 30 Jahren die besseren Leistungen erbracht haben. Ist der Schaden noch gut zumachen? Was kann man dagegen tun? Es ist wie mit der Arche Noah, dass man schaut, dass man Restbestände aufs Boot bringt (lacht). Es gibt natürlich Familien, Sportvereine, die da gegensteuern, und bis sich die Genetik verändert, dauert es schon sehr lange. Das ist vielleicht die beruhigende Sichtweise. Aber durch die Lebensgewohnheit sorgen wir dafür, dass sich die Genetik nicht so entfaltet im Leben des Einzelnen, wie es sein könnte, wie es angelegt wäre im Menschen. Die Konsequenzen haben wir ja mit vielen zivilisatorischen Erscheinungen. Zuckerkrankheit ist da nur eine von vielen. Taugt der Spitzensport als Vorbild, um Leute zur Bewegung zu bringen? Ja und nein. Man weiß, dass er anregt, dass er inspirierend sein kann. Wenn Dominic Thiem großartig spielt zum Beispiel. Wenn Spitzensportler erfolgreich sind, gibt es eine nächste Generation, die sich dann für diesen Sport entscheidet. Grundsätzlich denke ich, man soll den Einfluss auf Breiten- und Gesundheitssport nicht überschätzen. Indirekt ja. Weil Modeströmungen daraus transportiert werden, weil die Industrie viel mehr Kraft einsetzt, wenn der Spitzensport floriert, und wenn mehr berichtet wird. Radfahren ist ein Beispiel, wo es ganz gut wirkt. Ich denke schon, wenn es auch von der Politik gut gemacht wird wie bei der WM in Tirol, auch beim Klettern und Langlaufen, dass die Leute das ästhetisch, schön und anregend finden und Lust kriegen, selbst wieder Rad zu fahren und es als positiv erleben, dass man mit der Familie was macht. WENN EIN AUTOHÄNDLER GEWERBSMÄSSIG TACHOS FRISIERT, HAT JEDER VERSTÄNDNIS, DASS ER EINE STRAFE BEKOMMT ODER IN DEN HÄFN MUSS. Wie groß ist der Schaden, wenn solche Dinge wie der Dopingskandal in Seefeld passieren? Schaden und Nutzen muss man da abwägen. Nutzen für die Sportler, die sich abmühen und einen sauberen Sport wollen und hoffen, dass man die schwarzen Schafe erwischt. Für die ist das das Zeichen, es passiert was, das sind keine Schlaftabletten. Dass auch klar wird: Es gibt investigative Methoden, es fliegen Leute auf, die damit nicht rechnen. Das finde ich für den Sport prinzipiell gut. Ist natürlich schade für die momentane Situation. Es wird eine Party gecrasht dadurch, aber man darf den anderen Effekt nicht unterschätzen. Für den Breitensport glaube ich nicht, dass es wahnsinnig abtörnend ist. Es gibt ja auch im Hobbysport Leute, die dopen. Dazu kommt der gesellschaftliche Effekt, dass man sieht: Es gibt Regeln und über die kann man sich nicht ungestraft hinwegsetzen. Genau. In der Anti-Doping-Ethikkommission in Österreich machen wir uns Gedanken über solche Dinge und das ist genau ein Thema. Was helfen Regeln, wenn sie fahrlässig oder nachlässig oder gar nicht kontrolliert werden? Wir haben ein Anti-Doping-Gesetz, das den Sportbetrug inkludiert und dann wird es echt unangenehm für die Leute. Es geht ein bisschen vom Kavaliersdelikt weg. Wo es auch weggehört. Es wird im Sport ja sehr viel Geld bewegt und da ist das wirklich Betrug. Wenn ein Autohändler gewerbsmäßig Tachos frisiert, hat jeder Verständnis, dass er eine Strafe bekommt oder in den Häfn muss. Im Sport nimmt der Sportler den anderen Preisgeld, Förderungen, einen Platz in der HSNS weg, da geht es um Existenzen. Das führt dann zu dem Druck, der andere dazu treibt zu sagen: Entweder muss ich aufhören oder ich muss auch was nehmen. 18 SPORTaktiv

Ist das ein Spiegel der Gesellschaft, der Leistungsgesellschaft oder des Narzissmus, der durch die sozialen Medien befeuert wird? Da kann man philosophisch wieder unterscheiden zwischen der Leistungsgesellschaft und der Erfolgsgesellschaft. Die Leistungsgesellschaft würde so was nicht brauchen. Leistung ist genau messbar. Und da geht es um Eigenleistung und nicht um Vergleich zur Leistung mit dem anderen, dass ich mehr haben muss oder besser sein muss, sondern dass die persönliche Entwicklung Leistung ist und Eigenleistung sehr befriedigen kann. Da kann einer mit einem Marathon in 3:30 Stunden total glücklich sein, wenn er mit 4:40 angefangen hat. Wenn er sich nur an dem misst, der ganz vorne ist, wird er immer leiden. Dann ist er eine arme Sau und wird wahrscheinlich dopen müssen, weil er sonst nicht glücklich wird. Aber wenn ich das Leistungsprinzip sehe, geht es darum: Was hab ich für Ausgangsvoraussetzungen, was hab ich für Trainingsmöglichkeiten und wie gehe ich damit um? Wenn es nur um Erfolg geht – und wir leben in einer Erfolgsgesellschaft – dann wird vielfach nicht mehr nachgeschaut, wenn einer Erfolg hat. Dann will man es einfach nicht mehr wissen. Dann sagen wir, das ist ein total reicher Mensch, fragen wir nimmer, wie er dazu gekommen ist. Es genügt, wenn der Erfolg nachgewiesen ist. Das ist der große Unterschied. Das Leistungsprinzip versaut uns nicht, es ist eher dieser Erfolgswahn. Dadurch blockieren sich viele Leute und sagen: Bevor ich mich für meine Leistung geniere, mache ich gleich gar keinen Sport. Wenn am Anfang nur die Neugier steht und man sich einlässt auf das Spiel, ohne dass man Angst hat, seinen Status zu verlieren, und das erste Schamgefühl WENN ES NUR UM ERFOLG GEHT – UND WIR LEBEN IN EINER ERFOLGSGESELLSCHAFT – DANN WIRD VIELFACH NICHT MEHR NACHGE- SCHAUT, WENN EINER ERFOLG HAT. überwindet, dann ist es erstaunlich, für was sich der Mensch alles begeistern kann, gerade der Bewegungsbereich ist besonders gut geeignet. Man kann mit seinem Körper so viel Freude und Begeisterung haben. Ich war gerade bei der Diskussion um das Drama mit den beiden Bergsteigern Hansjörg Auer und David Lama. Da haben wir danach noch weitergeredet und irgendjemand hat gesagt: Man kann sich seine Leidenschaft ja nicht aussuchen. Ich bin da anderer Meinung. Ich glaube, man kann sie sich wirklich aussuchen. Unser Gehirn ist so flexibel und plastisch, dass man sich seine Leidenschaft sehr wohl aussuchen kann. Ich bin selbst auch das Beispiel Entspannter Interviewtermin von SPORTaktiv mit Toni Innauer im Sportresort Hohe Salve in Hopfgarten, wo Innauer auch das Move- & Relax-Konzept mitentwickelt hat. dafür. Ich hab mir nie vorstellen können, dass ich es einmal so ohne Weiteres verkraften werde können, dass ich nicht mehr Ski springe. Ich war leidenschaftlicher Skispringer und dann war ich eigentlich froh, dass es vorbei war. Mir wollte man auch mit 16 eine Mitgliedschaft im Golfclub in Lindau am Bodensee schenken. Nichts hat mich damals weniger interessiert. So was Fades hab ich mir gedacht. Heute bin ich ein leidenschaftlicher Golfer. Meine Eltern hatten eine Ziehharmonika –aber unmöglich damals: ich und Musik. Und jetzt spiele ich Gitarre und denke mir: Schade, dass ich nicht Musiker geworden bin. Wobei – der Welt hab ich einiges erspart. Noch einmal zurück zur Musik. Sie sind ein Fan des deutschen Liedermachers Reinhard Mey. Welches Lied charakterisiert den Toni Innauer am besten? Hahaha. „Schon wieder ein Jahr“ vielleicht. Oder „Alleinflug“, das ist ein nettes. „Über den Wolken“ spiele ich ab und zu. Da gibt’s vieles. Fallt mir jetzt natürlich nicht ein. Da bräuchte ich mein Songbook, dann würden wir ein wirklich gutes finden. Kann ich das nachreichen? (lacht). SPORTaktiv 19

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