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SPORTaktiv Outdoorguide 2016

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EMOTIONEN DER BERG UND

EMOTIONEN DER BERG UND ICH AUF EINEM GIPFEL zu stehen, den man aus eigener Kraft erreicht hat, ist für jeden Menschen etwas Besonderes. Doch was empfinden eigentlich die, die den Bergen noch etwas näher sind als wir Freizeitsportler? Menschen, denen der Berg Beruf und Berufung zugleich ist? Wir haben drei Alpinprofis gebeten, hier ihre Gedanken zum Thema „Der Berg und Ich“ zu notieren. In der Werbung werden die Berge stets perfekt als Platz der Erholung inszeniert, als makellose Spielwiese für kernige Mädels und Burschen. Eine Mischung aus Fitnesscenter und Aerobicraum, nur mit besserer Aussicht und höherem Adrenalinspiegel! Ein Bergmensch, also einer der dort oben aufwächst und sein Leben in den Bergen verbringt, der weiß dagegen, dass der Berg ein Hund sein kann: gnadenlos, oft launisch und unberechenbar. Trotzdem trifft den Berg nie die Schuld, sondern immer uns kleine Individuen, ausgestattet mit grenzenloser Überheblichkeit und im Glauben, diesem Giganten unseren Willen aufzwingen zu können. Ja, ich bin so ein Bergmensch. Und das Erste, was mich mein Seilpartner und Lehrmeister Pöll Franz lehrte, waren „Respekt und Dankbarkeit”. Er erzählte wilde Geschichten von Berggeistern und Kreaturen, die da oben in den nebelverhangenen Wänden hausen. Dementsprechend entwickelten wir in den Jahren darauf todsichere Rituale und Methoden. Um diese Berggeister nicht zu verärgern, haben der Franz und ich bei jeder Klettertour den ersten und letzten Schluck unseres Bieres (alkoholfrei) am Wandfuß geopfert! Beim Durchstieg einer schwierigen Route stand danach die obligatorische Durchstiegszigarre am Programm – natürlich wurde auch Rauch in die Ritzen und Spalten der Wand geblasen! Für uns war es logisch, dass der Berggeist auch seinen Spaß haben soll – und ein Zug von der Zigarre oder ein Schluck Bier wird ihm schon nicht schaden ... Beobachter, die mit unserem Brauch nicht so vertraut waren, schüttelten meist nur den Kopf. Ihre Erkenntnis war naheliegend: „Zwei senile alte Trottel vom Zigarrenclub auf Betriebsausflug!” Herbert Ranggetiner „Wir sind ein gutes Team” Herbert Ranggetiner, 47, aus Mühlbach im Pinzgau (S)ist Profikletterer, eröffnete mehr als 600 Lines in ganz Europa Aug in Aug mit der Dohle Gewisse Berge und Orte haben eine immense Kraft und Wildheit, sie lassen mich ruhig und überlegt handeln. Wiederum andere zeigen mir klar und unmissverständlich, hier bist du nur ein Spielball der Elemente und deine Fähigkeiten reichen hier noch nicht! Ich glaube, jeder Mensch ist für eine gewisse Sache gemacht – bei mir sind es wohl die Berge und das Klettern. Abenteuer erlebte ich in den Bergen viele und dennoch gibt es eine ganz besondere, prägende Erfahrung, weil so wahrhaftig in ihrer Form und Klarheit: Eine seilfreie Begehung einer langen alpinen Route im unteren 8.Grad. An einem herrlichen Herbsttag klettere ich diese geniale, kompakte Linie hoch, der Fels ist angenehm warm und ich FOTOS: Herbert Ranggetiner 16 SPORTaktiv-OUTDOORGUIDE 2016

klettere zügig zur Schlüsselstelle, einem kleinen waagrechten Dach in ca. 300 m Höhe. Als ich über dieses Dach gelange, habe ich eine Leichtigkeit und eine fast schon irreale Selbstverständlichkeit wie selten zuvor. Ich bin absolut Herr der Lage! An einem rauhen Loch, in dem gerade zwei Finger Platz finden, lasse ich dann für ein paar Sekunden die Füße baumeln. Also 300 Meter über dem Boden an nur zwei Finger hängend – so verweile ich kurz. In diesem Moment drehe ich mich zur Seite und fünf Meter neben mir schwebt eine Dohle auf dem warmen Aufwind, der nachmittags in den Felswänden entsteht, und sie bewegt nicht einmal die Flügel. Ich blicke genau in die Augen des Vogels und weiß, er versteht mich. Was uns in diesem magischen Moment verbindet, nennt man dann wohl Freiheit. Für mich war es Leben pur, ein mystischer, spezieller Moment in der außergewöhnlichen Dreiecksbeziehung zwischen Mensch, Berg und Tier! Im Paralleluniversum Die Route endete direkt neben dem Gipfelkreuz auf einem großen Plateau und ich hatte das Gefühl, ich betrete ein Paralleluniversum: Massen von Menschen mit teils roten Köpfen, die verzweifelt auf der Suche nach der Stempelstelle sind; dieser überlebenswichtige Stempel, der am Wochenbeginn allen beweist: „Seht, ich bin ein Bergmensch, denn ich war am Gipfel!” Das Panorama und der drohende Hitzschlag werden ignoriert, der Berg und das Erlebnis zweitrangig. Menschen, die die Hektik ihres Alltages mit auf die Berge nehmen, machen mir Angst und deshalb bewege ich mich schnell talwärts, weg von diesem schaurigen Treiben. Dort springe ich in den klaren Bergsee, lege mich in die Almwiese zu den Schafen, blicke nochmals in die gekletterte Wand und träume vor mich hin. Der Berg hat viele Gesichter, aber wie schon anfangs erwähnt: Schuld hat er nie! Ich erlebte dort oben geniale Momente, war mitten in Gewittern oder Schneestürmen, hing bei Minusgraden in meinen Projekten und der eisige Wind wehte das Seil waagrecht hinaus. Aber ich sah dort oben auch Menschen sterben – solche, die unvorbereitet in ihrer Fitness und Ausrüstung eine beinharte Rechnung serviert bekamen, ohne die Möglichkeit, es nächstes Mal besser zu machen! Frei und unverbiegbar Ich persönlich genieße es, allein unterwegs zu sein oder mit Freunden, die so ticken wie ich. Es ist ein Privileg, sogenannte „Kraftplätze” zu kennen oder Orte, an denen es so still ist, dass man sein Herz schlagen hört. Ich schlafe im Schlafsack, die Sonne weckt mich, und nach einem Kaffee breche ich auf zu meinen Projekten. Und ich denke mir dabei: Wir sind ein gutes Team. Ich respektiere ihn, wir haben beide unsere Regeln und sind beide frei und unverbiegbar – der Berg und ich! 17

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