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SPORTaktiv Skitourenguide 2017

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DER ERSTE WEISSE RAUSCH

DER ERSTE WEISSE RAUSCH NACH DREI JAHRZEHNTEN PISTE HAT UNSER REDAKTEUR ZUM ERSTEN MAL DIE GRENZE INS GELÄNDE ÜBERSCHRITTEN UND EINE SKITOUR ABSOLVIERT. SEITHER VERSTEHT ER DIE SUCHT NACH STUNDENLANGEM AUF- STEIGEN FÜR DIE EINE ABFAHRT. VON KLAUS MOLIDOR 18 SPORTaktiv

Foto: KfV Voller Impfschutz gegen den Trend: Drei Jahrzehnte lang hatte das Skitourenvirus keine Chance, sich in meinem Körper einzunisten und auszubreiten. Allen Verlockungen und Erzählungen zum Trotz, die vom weißen Rausch berichten, vom Freiheitsgefühl und vom unübertroffenen Naturerlebnis. Die Immunität gegen diesen Sport war unerschütterlich. Skifahren, das war Piste für mich und nicht Tiefschnee. Wohl auch, weil mir als Flachländer sowohl Schnee als auch Erfahrung nicht im ausreichenden Maße zur Verfügung standen. Irgendwann war die Verlockung aber doch zu groß. Perspektivenwechsel, raus aus der Komfortzone, was Neues kennenlernen. Also Skitour. Und wenn, dann gleich richtig. Nicht irgendwo in Pistennähe, sondern im Jamtal in Tirol. Mit einer Gruppe von Novizen und Fortgeschrittenen, vor allem aber mit zwei Experten als Guides: Bergführer und Bergretter Christian Eder und Bergsteigerlegende Peter Habeler. Sicherheit hat Priorität – eingeladen hat schließlich das Kuratorium für Verkehrssicherheit. Schon beim Ausfassen der Leihausrüstung schleichen die Zweifel an dem Unterfangen zurück ins Unterbewusstsein. Die Schuhe sind zwar bequem und weich – aber hat man damit genug Halt? Die Pin-Bindungen ohne Rahmen, dafür mit zwei herzigen Zapferln, die in den Schuh einrasten, erwecken im Neuling auch kein Sicherheitsgefühl. Und die Bretter? Breit und leicht und ohne g’scheite Kanten. Na, servas. „DIE SELBST- DARSTELLER AM BERG KANNST’ IN DER PFEIFE RAUCHEN“ Hoch über dem Alltag Das Fellaufziehen geht in der Früh wenigstens problemlos und dass man die Ski beim Schritt nicht heben, sondern nur vorwärtsschieben soll, ist ein super Tipp, der sich auch schnell umsetzen lässt. Durch den Schatten geht es von der Jamtalhütte auf 2.165 Metern Seehöhe recht flach los. Nach ein paar Hundert Metern verfliegt das Schmähführen in der Gruppe und es wird meditativ. Du schiebst die Ski vorwärts, wie beim Langlaufen in Zeitlupe, hörst das Knirschen des Schnees und den Atem. „Nicht zu schnell angehen“, hat Peter Habeler beim Aufbruch gesagt. Kraft sparen ist angesagt, immerhin liegen zwei, drei Stunden Aufstieg vor uns und eine einzige Abfahrt. Schritt, Stockeinsatz, Atemzug, Schritt, Stockeinsatz, Atemzug. Immer wieder, immer weiter. Ein tranceartiger Zustand stellt sich in der Weite des Gletschers ein, der jetzt in der Sonne liegt. Bei der Rast auf der ersten Kuppe ist der Kopf schon frei. Du bist körperlich und mental hoch über dem Alltag. Blauer Himmel, schroffe Felsen, Fernsicht Ende nie – mehr braucht man nicht. Es ist die Rückkehr zu den elementaren Dingen, die Tourengehen faszinierend macht. Die hektisch oszillierende Alltagsschwingung mit Spitzenausschlägen im Sekundentakt verlangsamt sich zu weiten, wohligen Wellen. Bis Habeler ruft: „Weiter geht’s“. Jetzt wird das Gelände Richtung Rußkopf steiler und anspruchsvoller. Der 75-Jährige geht voraus, prüft mit dem Stock alle paar Meter den Schnee und mit Blicken die Gruppe. „Du darfst keinen überfordern, musst aber immer das Kommando haben, ohne schroff zu werden“, sagt Habeler. Seine Kondition reicht locker, um in den kurzen Pausen SPORTaktiv 19

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