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SPORTaktiv April 2020

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In der österreichischen

In der österreichischen Politik hat man den Eindruck, dass der Sport ein Wanderpokal ist: In den letzten 15 Jahren waren fünf Parteien für die Sportagenden zuständig. Sagt das auch etwas über den Wert aus, den die Gesellschaft dem Sport zugesteht? Ganz so einfach ist das nicht, denn Politiker lieben ja den Sport. Nämlich als Plattform, um sich zu inszenieren. Indem sie als Fans bei Sportveranstaltungen auftreten oder manchmal auch etwas peinliche Bilder liefern, wie sie in nicht mehr ganz jungen Jahren Fußball spielend ihren Bauch vor sich herschieben. Warum tun Politiker das? Weil sie wissen, da haben sie viele Tausende Zuschauer. Also hat der Sport hohen gesellschaftlichen Stellenwert. Nur machtpolitisch ist der Sport für einen Minister und seine Partei uninteressant, weil er relativ wenig gestalten kann. Vielleicht auch, weil mächtigen Sportverbänden sozusagen egal ist, wer unter ihnen den Minister spielt. Sie sind in Ihren besten Zeiten 10 Kilometer unter 33 Minuten gelaufen und den Halbmarathon in 1:12 Stunden. Warum der Laufsport? Ich hatte einen Skiunfall mit schweren Verletzungen beider Ellbogen, weil ich beim Sturz in einen Abgrund instinktiv die Arme über den Kopf gab. Danach habe ich dann eine Sportart gesucht, bei der ich nicht beeinträchtigt war. Das war Laufen. Für einen Wissenschafter, der beruflich Strategieanalysen macht, ist beim Langstreckenlauf auch faszinierend, wie systematisch man über einen langen Zeitraum hinweg trainiert und wie fast mathematisch die Renneinteilung geplant wird. Auch von Politikern weiß man, dass sie oft Langstreckenlauf betreiben. Warum ist diese Sportart in der Berufssparte Politiker verbreitet? 14 SPORTaktiv

Naja, als in den Neunzigerjahren der Laufsportboom kam, ist es rechnerisch klar, dass wie in allen Berufsgruppen auch die Zahl laufender Politiker stark angestiegen ist. Das Besondere ist da nur, dass sich manche Politiker damit besonders fernsehgerecht inszenierten und Journalisten das oft allzu leichtfertig als Thema aufgriffen. Haben Sie Ihre eigenen Laufzeiten und Trainingsdaten mit solcher Akribie analysiert wie eine Wahl? Oder wie die Sportereignisse, die Sie für Ihr Buch gesammelt haben? Da muss ich zunächst eine Sache korrigieren: Ich analysiere im Buch gar nichts, sondern schildere höchst subjektiv meine Sicht der Dinge. Wenn mein Barca spielt, hat der Gegner den Sieg nie verdient und steht im Zweifelsfall dauernd im Abseits (lacht). Für mein Lauftraining habe ich einerseits wirklich viele Bücher gelesen und Trainingspläne gemacht. Nur war es oft schwierig, das mit beruflichen Zwängen unter einen Hut zu bringen. Worauf ich aber stolz bin: Ich habe Freunden einen Trainingsplan geschrieben, wenn jemand zum Beispiel als schon ein bisschen älteres Semester die Dreistundengrenze im Marathon knacken wollte. Als Sportfan sind Sie gewissermaßen politisch unkorrekt, sagen Sie: Sie halten zu Sportlern, die als Menschen nicht sympathisch sind, freuen sich über Doppelfehler im Tennis, sofern es Ihrem Favoriten hilft … Haben Sie eine Erklärung, warum für Sportfans offenbar etwas andere Maßstäbe jenseits der Political Correctness gelten? Sport lebt ja davon, dass wir mitfiebern. Acht Leute auf parallelen Bahnen schwimmen zu sehen, das wäre wenig aufregend, wenn wir uns nicht mit einem davon identifizieren. Die sind ja kaum voneinander zu unterscheiden, zur Zeit der Ganzkörperanzüge waren sie es fast gar nicht. Oder wollen Sie da immer nur streng sachlich den Kraulstil diskutieren? Also brauchen wir Gefühle wie das Wir-Gefühl. „Das ist einer von uns!“ oder: „So wie der oder die will ich sein!“ Und so weiter und so fort. Spannend ist dabei aber nicht unbedingt der perfekte Gentlemansportler, denn auf einer Party ist ja auch nicht der Typ mit dem allerbesten Benehmen besonders sexy. Einer Ihrer großen Helden ist Marco Pantani. Abgesehen von der Tragik seiner Persönlichkeit: Wie sehen Sie generell den Zwiespalt zwischen Heldenverehrung und späterer Verdammung, sobald ein Sportler des Dopings überführt ist? Da bin ich am Rande einer gespaltenen Persönlichkeit. Pantanis unbändige Angriffslust wider jede taktische Vernunft, sobald die Straße bergauf ging, das hat mich fasziniert. Auch wenn ich im Hinterkopf wusste, dass seine Duelle mit dem Deutschen Jan Ullrich oder natürlich Lance Armstrong ein Wettbewerb von lauter wandelnden Apotheken waren. Doping ist Betrug und ich wünsche mir unendlich mehr Ressourcen an Personal und Geld für viel mehr Kontrollen. Was mir aber umgekehrt wichtig ist: Strafen und Sperren sind dann nach ordentlichen Verfahren und einem Urteil auszusprechen, nicht als Pauschalurteil im Volksmund: „Die gifteln alle!“ Ich sage ja auch nach erschütternden Missbrauchsfällen in der Kirche nicht, dass alle Priester Kinderschänder wären oder ähnlich schlimmen Unsinn. Sie schreiben auch, dass in Deutschland in jüngster Zeit in der Doping-Berichterstattung ein Paradigmenwechsel stattgefunden hat, hin zu einer kritischeren und differenzierteren Sichtweise. Haben Sie eine Erklärung, wodurch dieser Wechsel im Nachbarland ausgelöst wurde? Durch sehr späte Erkenntnis. Offenbar ist irgendwann doch Schuldbewusstsein eingekehrt, dass man Jan Ullrich geglaubt hat, es hätte ihm nur in der Disco jemand was ins Getränk getan. Und bei einem Langsteckenläufer war es irgendwas in der Zahnpasta, wenn ich mich richtig erinnere ... Doch die späte Gegenreaktion ist bewunderswert, die ARD hat zum Beispiel eine eigene Antidopingredaktion. Sie würden selbst gern Sportereignisse kommentieren. Wenn Sie sich eines aussuchen könnten, welches wäre das? Marathonlauf. Ich hätte ja sogar im ORF den Wiener Marathon live kommentieren dürfen. Infolge des Coronavirus wurde daraus nichts. Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben ... SPORT LEBT VOM MITFIEBERN, VON GEFÜHLEN WIE DEM WIR-GEFÜHL. ODER WOLLEN SIE IMMER STRENG SACHLICH DEN KRAULSTIL DISKUTIEREN? SPORTaktiv 15

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