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SPORTaktiv August 2019

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BAUCHFLECK, KOPFARBEIT

BAUCHFLECK, KOPFARBEIT UND NEUE ZIELE CHRISTOPH STRASSER HAT BEIM RACE ACROSS AMERICA ALLE REKORDE GEBROCHEN. LANDSMANN THOMAS MAUERHOFER BRACH SICH SEIN GE- NICK. ER HAT ES ZWEI MAL NICHT INS ZIEL GESCHAFFT. WO DIE BEIDEN GLEICH TICKEN, DAS IST DER FOKUS AUF ZIELE. WIE DEFINIERT MAN SIE? WIE GEHT MAN MIT SCHEITERN UM? WO KRIEGT MAN IM NOTFALL EIN NEUES ZIEL HER? VON CHRISTOPH HEIGL Notfall. Das ist für Thomas Mauerhofer ein gutes Stichwort. Der Steirer ist gerade ein paar Tage aus Amerika retour. Das Race Across America, kurz RAAM und die Erlebnisse hat er noch im Kurzzeitspeicher. Denn es ist schon wieder was passiert. „Ich war perfekt vorbereitet, hab alles mit Fotos und Videos aufgearbeitet, habe bei viel Verkehr trainiert, bin nachts gefahren, war alles kein Problem“, holt er aus. „Nie hätte ich gedacht, dass mein Kopf so einen Bauchfleck macht.“ Das RAAM über 5000 Kilometer quer durch die USA, das vielleicht härteste Non-Stop-Rennen der Welt, geht in die erste Nacht, als Mauerhofer völlig unerwartet ein flaues Gefühl im Magen bekommt. Die Erinnerungen sind plötzlich wieder da. Genau ein Jahr davor hatte sein RAAM ein jähes Ende genommen, als er auf Platz drei liegend in der Nacht bei einer Kreuzung von einem Auto niedergefahren wurde. In ersten Schockmeldungen konnte eine Lähmung nicht ausgeschlossen werden. Nach langem Bangen die Diagnose: keine Lähmung, aber Genickbruch, genauer ein Bruch des sechsten Halswirbels, samt gefährlichen Absplitterungen. Operation, ab nach Hause, Reha. „Es waren vier perfekte Wochen und fünf Sekunden, die nicht ganz optimal waren“, sollte er später bei Vorträgen über den Horrorcrash erzählen. In dieser ersten Rennnacht heuer ist der Unfall aus dem Vorjahr urplötzlich wieder im Kopf, völlig aus dem Nichts. „Wir fuhren durch die Wüste, kaum Verkehr, keine größeren Städte, das üble Gefühl verschwand wieder.“ Doch die zweite Nacht kam. Und mehr Verkehr, größere Städte und noch schlimmere Emotionen. Sein Team reagierte mit noch mehr Licht vom Betreuerauto, noch mehr Kommunikation, mit Zurufen und einer vorgezogenen Schlafpause. „Kurz vor Mitternacht haben sie mich geweckt und mir das Rad hingestellt. Aber ich hatte Panik und konnte nicht aufsteigen. Der Hauptgedanke: Beim ersten Mal hatte ich Glück, dass nicht noch mehr passiert ist. Und beim zweiten Mal?“ Nach einem Gespräch mit seinem Bruder und Teamchef Arnold die Entscheidung: Abbruch. Der Unfall 2018, die Aufgabe 2019. Jahrelange Hingabe vergebens? „Meine primären Ziele habe ich nicht erreicht“, lautet das vordergründig erste Resümee. „Aber ich bin nicht total unglücklich.“ Fotos: Lex Karelly, Thomas Mauerhofer 100 SPORTaktiv

Denn Mauerhofer und das Team fanden neue Ziele. Erstens fuhren die Betreuer außer Konkurrenz abwechselnd die Strecke weiter (auch Mauerhofer auf den Tagesetappen) und zweitens näherte man sich der Unfallstelle von 2018, unweit der Brücke über den Mississippi, und die Idee wurde geboren, Mauerhofer solle diese Passage selbst fahren, um mit dem Crash abschließen zu können. „Aber ich konnte nicht. Erst als mein Bruder direkt in der Kreuzung gewartet hat und mein Betreuer, der damals hinter mir im Auto alles miterlebt hat, auf das zweite Rad gestiegen ist, habe ich es mir zugetraut. Ich war danach völlig fertig. Aber jetzt habe ich mein Hakerl unter die Sache gemacht und es ist hoffentlich verarbeitet.“ Rechtlich ist die Causa allerdings noch immer nicht geklärt, Schuldfrage und Behandlungskosten bleiben offen. Seit einem Jahr gibt es keine Neuigkeiten aus den USA. Aber wieso ist Mauerhofer heuer überhaupt noch einmal gefahren? Trotz Genickbruchs, den viele wohl als Wink des Schicksals gedeutet hätten und haben? „Meine Frau war dagegen. Völlig verständlich, für sie war es am härtesten.“ Um seine Zielstrebigkeit ein wenig zu verstehen, erzählt er eine Geschichte aus seiner Jugend. „Ich war ein dickes Kind, hatte mit 13 schon 80 Kilo, habe mit meinen Freunden aber beim Verein Fußball gespielt. Da kommt ein neuer Trainer und sagt: ,Du willst kicken? Du bist ja zu fett zum Laufen.‘“ Diese pädagogisch wenig wertvolle Äußerung des Trainers nahm der junge Mauerhofer zum Anlass, seine Kickschuhe abzugeben und nach Hause zu trotten. Viele Buben in seiner Situation hätten sich daheim aufs Sofa geworfen und Chips gefuttert. „Ich habe mir ein Fahrrad gekauft.“ Seine Leidenschaft für Heißluftballone führte ihn schnurstracks zu den Startplätzen der bunten Gashüllen und er radelte bis zu deren Landeplätzen. Innerhalb eines Jahres nahm der Bursche 25 Kilo ab, drei Jahre später war er im Rennrad-Nationalteam der Junioren. Mit 19 wieder ein Stopp, der Job ging vor. Mauerhofer wurde #6 Nicht erst seit seinem sechsten Sieg heuer ist Christoph Strasser der Mr. RAAM. Der Steirer hält alle Rekorde. SPORTaktiv 101

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