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SPORTaktiv August 2020

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Bewegungskultur statt

Bewegungskultur statt Weltmeistergedanke: Norwegen ist für Gottwald ein Vorbild, was den Umgang mit Sport angeht. tung auch gegenüber den Radfahrern ist leider erbärmlich. Es wäre jetzt die Chance gewesen und wäre nach wie vor die Chance, zu erkennen, dass Sport und Bewegung einen Beitrag leisten, um die Welt, in der wir leben, zu meistern. Und da ist nirgends die Rede von Weltmeistern. Wissend, dass ohnehin nur 0,2 Prozent der Kinder, die den Weg zum Sport einschlagen, irgendwann die Chance haben, ihre Existenz damit zu sichern. Heißt im Umkehrschluss: Wenn es uns so wichtig ist, dass wir Weltmeister produzieren wollen, braucht es erst einmal 1000 Kinder, die Sport betreiben, damit du die zwei hast, die zumindest eine theoretische Chance haben, irgendwann ein Marcel Hirscher oder Dominic Thiem zu werden. Da sehen wir schon wieder unseren aktuellen Stand des Irrtums, was die Sportund Bewegungskultur betrifft: Wenn es der erste Reflex ist, Turnstunden ersatzlos zu streichen, und nicht: Wie können wir eine Lösung finden, dass die Kinder ausreichend Bewegung an der frischen Luft kriegen, um die Welt zu meistern. Wenn Sie der Regierung ein Zeugnis für den Umgang mit Bewegung und Sport in der Corona-Zeit ausstellen müssten ...? Ein Zeugnis auszustellen für ein Fach, das nicht existiert, ist schwer. Aber meine Hoffnung lebt weiter. Meine These ist: Es gibt Bewegung, es gibt Ernährung, es gibt Regeneration, unser Mindset und den Schlaf als Basis. Wenn wir mit etwas beginnen, beispielsweise uns zu bewegen: Dann hat das natürlich auf alle erwähnten Bereiche Auswirkungen! Ich hoffe, dass vielen bewusst geworden ist, dass wir mit den Maßnahmen der Regierung nicht fitter und gesünder werden. Um unsere Gesundheit kümmert sich niemand, deshalb dürfen wir uns selbst darum kümmern. Die Herausforderung ist: Wir sehen die Auswirkungen nicht unmittelbar und können gleichzeitig immer nur heute einen Beitrag leisten. Es braucht dafür auf sehr einladende Weise UM DEINE GESUNDHEIT KÜMMERT SICH NIEMAND, WENN DU ES NICHT SELBST TUST. einen Bewusstseinsschaffungsprozess. Nur durch Händewaschen und Abstandhalten werden wir keine vitalere, fittere Gesellschaft werden. Wer sich regelmäßig bewegt, weiß, wie gut ihm das tut. Dann gibt es wahrscheinlich 50 Prozent der Bevölkerung, die diese Erfahrung nie gemacht haben. Ich möchte nicht sagen: noch nie gemacht. Kinder, und ich habe selber zwei kleine Mädels daheim, können gar nirgends hingehen, sie laufen. Aber natürlich ist jeder von uns die ganze Zeit Vorbild durch Vorleben. Wenn keiner raus- 22 SPORTaktiv

geht, sich nicht bewegt, denken Kinder, das ist normal. Kinder haben drei Gründe, warum sie mit Sport anfangen: Der erste ist, sie wollen den Eltern eine Freude machen. Der zweite: Sie wollen zu einer Gruppe gehören. Der dritte: Sie wollen spielen. Und wir, und da sind wir wirklich gut in Österreich, gehen her und sagen zu achtjährigen Kindern: Du darfst nicht mehr rausgehen spielen, geh trainieren. Und mit neun müssen sich Kinder für eine Sportart entscheiden: Fußball oder Skifahren. Allen Ernstes. Wieder das Beispiel Norwegen: Dort traut sich kein Trainer ein Kind vor dem 18. Lebensjahr zu bewerten: Du bist gut, du bist schlecht, du kannst was, du kannst nix. Sie nehmen alle mit. Athleten, Trainer, Funktionäre, Visionäre. Jeder soll dem Sport erhalten bleiben – egal, in welcher Funktion. Dass sich Kinder so früh für eine Sportart entscheiden sollen: Hat das mit dem Gedanken zu tun: „wenn man sich früh spezialisiert, wird man später besser?“ Es steckt der Weltmeistergedanke dahinter. Jeder Verband will Weltmeister produzieren um aus den Fördertöpfen entsprechend zu profitieren. Aber das ist eine Themenverfehlung. Ich rede da leicht als Olympiasieger, aber: Ich bin nicht der Inbegriff des Systems. Wenn es nach dem gegangen wäre, hätte ich mit 13 aufhören sollen, weil ich zu schlecht war. Auch Hermann Maier ist ein Gegenbeispiel. Es war fast unser Glück, dass wir zu früh abgeschrieben worden sind – und es dann auch unbedingt wollten. Die, die unbedingt wollen, kannst du sowieso mit keinem System verhindern. Aber generell unsere Sportstruktur auszurichten auf die Weltmeister, die Thiems und Hirschers, unser Sportsystem zuzuspitzen auf die olympischen Kernsportarten, Goldmedaillen und Siege: Das macht leider keinen Sinn. Stattdessen sollten sich möglichst viele Menschen einfach regelmäßig bewegen ... Es gibt einen schönen Text vom Unternehmensberater Simon Sinek: Wir stehen an einer Weggabelung und haben die Entscheidung über Sieg oder Erfüllung. Der Sieg steht für das Endliche und die Erfüllung für das Unendliche. Entscheidest du dich fürs Siegen, ist alles auf die FELIX GOTTWALD ist 44 und als ehemaliger nordischer Kombinierer der erfolgreichste österreichische Sportler der Olympiageschichte (3 x Gold, 1 x Silber, 3 x Bronze). Insgesamt 18 Medaillen bei Großereignissen. Der gebürtige Salzburger lebt mit Partnerin und zwei Töchtern (6 und 5) in Ramsau am Dachstein/St, bietet Workshops, Trainings und Management- Programme für Unternehmen und Organisationen an. Gottwald ist auch Ehrenbotschafter des „Jane Goodall Instituts Austria“. www.felixgottwald.at Ziellinie ausgerichtet, die Leute streben dorthin. Du gewinnst, alle jubeln dir zu. Dann gehen sie heim, du stehst alleine da und kannst nur hoffen, dass dir das irgendwann wieder gelingt. Bei der Erfüllung gehst du deinen Weg, die Leute schließen sich dir an und gehen mit dir. Wenn es dich einmal nicht mehr gibt, wird dein Weg von den anderen fortgesetzt. Meine Idee wäre, dass wir von der Sportkultur her einen solchen Weg einschlagen, der unendlich weitergeht. Wo wir als Nation eine Lebendigkeit entwickeln, Bewusstsein entwickeln für unsere Grundbedürfnisse, zu denen Bewegung dazugehört. Wenn wir eine Situation erreicht haben: Du gehst während der Arbeit in der Mittagszeit eine Stunde laufen, und erntest keine komischen Blicke und es sagt keiner: „Hast du nichts zum Hackeln?“; sondern: Weil meine Arbeit so wichtig ist, deshalb geh ich die Stunde laufen. Wenn es normal wird, dass wir uns einmal am Tag bewegen, dann haben wir es geschafft. Die Frage ist, wie kommen wir dahin? Kultur wird millimeterweise aufgebaut und meterweise abgerissen. Wir sind schlecht im Aufbauen und gut im Abreißen – wenn du etwa reflexartig gleich einmal die Turnstunden streichst in so einer prekären Phase, wie wir sie jetzt gehabt haben. Haben Sie eine Idee, wie eine Einladung an jeden Richtung Bewegungskultur konkret ausschauen könnte? Ich habe mir schon überlegt, wenn wir ein Beitragssystem entwickeln würden: Wenn jeder Kilometer, den wir uns sportlich bewegen, in einem Topf landet und dieser wird dann vom Staat umgemünzt in eine Bewegungs- und Vitalitätsinitiative. Das stelle ich mir schon lässig vor: Die zwei Kilometer, die ich mehr mit dem Rad fahre, werden vom Staat Österreich umgemünzt und wieder in Bewegung, in Sport investiert. Ich könnte mir vorstellen, dass da eine Superdynamik entstehen könnte, dass Win-win-win-Situationen entstehen. Der Einzelne, der durch seine Bewegung beiträgt, wird fitter; es werden Projekte realisiert. Und dem Staat spart es einen Haufen Geld. Und wir sind zudem gerüstet für etwaige Krankheitswellen. Aber um noch einmal auf die 50 Prozent zurückzukommen, die mit Sport nichts am Hut haben: Ich kriege das ja in Unternehmen mit, dass jede Initiative für Bewegung wieder die anspricht, die schon einen Ironman machen. Aber wie erreichst du die anderen? Auf einladende Weise. Mit Ermutigen und Bestärken. Es wäre eine Chance gewesen, das Vertrauen zu stärken. Zu sagen: „Die Situati- SPORTaktiv 23

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