PERSONALITY Luca Andreozzi & Hanspeter EisendleLuca Andreozzi: „Klettern hatte immer etwas Rebellisches.“entstand als Reaktion auf den Alpinismus.Bouldern war eine Reaktionauf das Sportklettern. Ich persönlichmache aber nichts revolutionärNeues. Im Gegenteil: Ich tue,was Kletterer wie Ben Moon oderChris Sharma schon lange vorhergetan haben – ganz normale Dinge.Nämlich?Sich von Felsen und Formationeninspirieren lassen. Dem Instinktfolgen. Nach Freiheit suchen undneue Orte zum Klettern entdecken.Warum machen das immer wenigerKletterer?Es gibt so viele Infos, Videos mitRouten und Plänen. Viele sind geradezubesessen von einem Schwierigkeitsgrad.Da denke ich mir:„Hey, schließ doch mal das Buch,Für mich ist der Felswie der Spiegelmeiner selbst. Erreflektiert meineÄngste undWünsche.ZUR PERSONLuca Andreozzi (* 1991) gewann von2000 bis 2009 neunmal in Folge dieitalienische Jugend-Meisterschaft imLead sowie achtmal im Bouldern.Er eröffnete viel beachtete Boulder-Routen im 8. Grad. Luca betreibt eineKletterhalle in Florenz und lebt inVersilia (Toskana).leg das Handy weg und öffne dieAugen!“ Du gehst weiter, läufst denFluss hinab, suchst dir einen Spot,der dich packt. Klettern ist Technikund das ist spannend und schön.Klettern ist aber auch das Berührendes Unbekannten.Was fühlst du am Fels: eine Oberflächeaus Stein – oder ist da mehr?Für mich ist der Fels wie ein Spiegelmeiner selbst. Er reflektiert meineÄngste und Wünsche. Manchmalfühle ich mich bereit, aber der Felsist es nicht. An einem anderen Tagbezweifle ich, bereit zu sein – aberder Fels entscheidet, mich hochzulassen.Als hätte er eine Seele. Dashat etwas Magisches und ist wohlder Grund, warum ich einfach nichtaufhören kann zu klettern.Du hast dich mit Altmeister HanspeterEisendle in die rohe Bergweltgewagt. Wie hast du das erlebt?TO: SALEWA/Matteo PavenaEs war ein großes Glück! Ich hattenach neuer Inspiration gesucht,wollte etwas Fremdes fühlen. Wirmussten mit Eis und Schnee zurechtkommenund auf das Wetterachten. Als wir auf dem Vajoletstanden, wollte ich das feiern.Hanspeter sagte nur: „Runter hier,da kommt ein Sturm …“Und?Als wir aus der Wand stiegen, standenwir in einem Schneesturm.Was hast du von der Tour für dichmitgenommen?Dass ich mehr von dieser abenteuerlichenSeite der Berge erlebenmöchte. Und dass ich mir die Leidenschaftfür das Klettern erhaltenmöchte, wie ich sie bei Hans wahrgenommenhabe. In seiner Gegenwarthabe ich gespürt, wie sehrman mit sich im Reinen sein kann,wenn man seinen Weg und seineinnere Balance gefunden hat.Hanspeter, du hast mit dem italienischenBoulder-Spezialisten LucaAndreozzi die Vajolet-Türme bestiegen.Wie oft warst du da schon oben?Schon einige Male.Eher zehn oder eher fünfzig Mal?Eher fünfzig – aber mit Zahlen habeich es nicht so. Viele Bergsteigerwissen, wie viele 4000er oder5000er sie bestiegen haben. Dasweiß ich nicht. Dafür habe ich vieleBilder und Erinnerungen sehr genauim Kopf.Warum habt ihr euch für die Vajoletentschieden?Es ging weniger um das Bergsteigenselbst, als darum, das Bergsteigendarzustellen. Der Schwierigkeitsgradwar nicht so wichtig, wirhätten auch den doppelten Gradklettern können. Die Idee war, Lucaals urbanen Kletterer mit den rauenBedingungen des Gebirges zukonfrontieren.018
Langversionen der Interviewsauf www.sportaktiv.comWie seid ihr dem Bergnähergekommen?Ins Gebirge geht man Schritt fürSchritt. Das ist eher unmodern. Modernwäre, möglichst schnell möglichstviel in kurzer Zeit zu erleben.Es war windig, wir hatten kalte Finger,außerdem musst du im Gebirgeprüfen, ob die Griffe fest sind. Lucahat das aber nicht gestört, er warfasziniert davon.Gab es Schlüsselstellen beimAufstieg?Vom reinen Klettern her war Lucamassiv unterfordert. Aber die großenHakenabstände waren neu fürihn. Und ein überhängender Abgrundvon 600 Metern – das ist einEindruck, der mehr auf einen Menschenwirkt als jeder sportlicheSchwierigkeitsgrad.Luca meinte, er wollte oben erst einmaldie Aussicht feiern. Du hast ihnzur Eile ermahnt, weil ein Sturm aufziehenwürde.Ja, der war auch nicht zu übersehen.Als wir aus der Wand stiegen,standen wir mit null Sicht imSchnee. Diese Form der Exponiertheithatte Luca noch selten erlebt.Was bedeutet Exponiertheitfür dich?Den Einflüssen der Natur ausgesetztzu sein. Ich glaube, es ist diewichtigste Erfahrung, die wir alsMenschen im Gebirge machen können.Klettern können Affen oder Eidechsensowieso besser als wir. ImGebirge begegnen wir als zivilisierteMenschen einer Art Urwelt, setzenuns Wind und Wetter aus. DieWelt, wie sie immer war, gibt esauch noch. Bis in die Politik hineinwird vergessen, dass wir uns derNatur anpassen sollten – weil wirsie niemals beherrschen werden.Was denkst du, wenn du von obenauf die Welt blickst?Für mich ist es die beste Möglichkeit,im Hier und Jetzt zu sein. WasTO: SALEWA/STLABSIm Gebirgebegegnen wir alszivilisierte Menscheneiner Art Urwelt,setzen uns Wind undWetter aus.war, haben wir in Erinnerung. Waskommt, das ahnen wir. Aber wissenkönnen wir es nicht. Die einzigeWirklichkeit ist, dass wir genauhier, in diesem Moment, am Lebensind. Wenn du dich der Natur aussetzt,musst du in jeder Sekundedas Richtige tun. Alles andere rücktin den Hintergrund. Mir hat gefallen,dass Luca das genauso empfun-ZUR PERSONHanspeter Eisendle (* 1956) hatHimalaya-Expeditionen u. a. zumNanga Parbat realisiert. Mit zahlreichenErstbegehungen und Sportkletterroutenim 10. Grad gilt er als einer derbesten und erfahrensten Dolomitenkletterer.Er arbeitet als Bergführerund lebt in Sterzing (Südtirol).Hanspeter Eisendle: „Das Wesen desBergsteigens ist das Langsame.“den hat wie ich. Dass wir wenig redenmussten, weil wir beide diegleichen Eindrücke teilten.Was ist der eine Tipp, den du jedemjungen Menschen geben würdest?Akzeptiere, was geschieht. Und ziehedich zurück, wenn es dir zu vielwird. Das Mediale will uns weismachen,dass das Bergsteigen immerein Genuss ist. Wenn man ehrlichist, sind die Berge für uns Menschenaber in erster Linie ein Widerstand,an dem wir wachsen,wenn wir ihm begegnen. Wir wachsen,wenn wir uns zurückziehen.Und wir wachsen, wenn wir unserZiel erreichen.Luca meinte, er habe gespürt, wiesehr du mit dir im Reinen bist.Kannst du das nachvollziehen?Ich bin kein Lehrmeister. JederMensch muss für sich seine Gelassenheitfinden. Aber es ist eine guteMethode, wenn man sich der Wirklichkeitaussetzt, um zu spüren, werman wirklich ist. Wenn jede Showwegfällt. Das Bergsteigen lebt vomWeglassen. Man kann nicht alles insGebirge mitnehmen, was man gebrauchenkönnte, weil man es nichttragen kann. Das Erlebnis ist größer,wenn man kein Schneckenhausauf dem Rücken trägt.Sollte der Klettersport wiedereinfacher werden?Das Wesen des Bergsteigens ist dasLangsame. Tausend Meter zu Fußsind nicht einmal ein richtiger Spaziergang.Tausend Meter zu klettern,dauert einen Tag. In den Bergenist man automatisch langsam.Und die Gefühle gehen in die Tiefe.Wo bist du am Ende lieber: oben amBerg oder unten im Tal?Ich wohne lieber bei den Menschen.Das ist mein natürliches Habitat.Um das wirklich schätzen zu können,muss ich meine Nase allerdingsimmer wieder weit in denWind halten.019
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