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SPORTaktiv Oktober 2016

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BIKE LIVE DABEI SERIE

BIKE LIVE DABEI SERIE DEM HIMMEL GANZ NAH SECHS ETAPPEN ZU JE 100 KM. Täglich 2.000 Höhenmeter im Anstieg; durchschnittliche Höhe: rund 5.000 Meter und 23 Teilnehmer, von denen sich zwölf am Ende das Finishershirt anziehen dürfen. Das sind die nackten Zahlen zum nackten Wahnsinn – und der heißt „Himalayan Highest Mountainbike Race“. Der Steirer Peter Urdl war für SPORTaktiv mittendrin – und weiß jetzt, wie man als Mountainbiker mit extremer Höhe umgeht. FOTOS: Peter Urdl TEXT: Peter Urdl 66 SPORTaktiv

Schon komisch, aber das erste, was mir nach dem Überqueren der Ziellinie am Kardungh La- Pass, auf 5.602 Meter, durch den Kopf geht, ist: Die Crocodile-Trophy war schon beinhart – aber dort kriegst wenigstens Luft ... Dass ich jetzt, am höchsten befahrbaren Pass der Welt, trotzdem mit geschwellter Brust da stehe, liegt wahrlich nicht an prall gefüllten Lungenflügeln, sondern einzig und allein an der Tatsache, dass ich bei diesem Wahnsinnsrennen – bei dem man sechs Tage lang nach jedem einzelnen Sauerstoffmolekül giert und die Ausfallrate so hoch ist wie bei keinem anderen Bikerennen weltweit – einer von nur zwölf bin, die es bis ins Ziel schafften. Und das in meinem Fall sogar mit der zweitbesten Zeit. Gespürt hatte ich die Höhe zum ersten Mal schon bei der Ankunft in unserem Hotel in Leh: Die Hotelboys waren mit dem Gepäck (Bikebag und Tasche zu je 23 kg) die Stiegen hinauf gelaufen – ich folgte: erste Stufe, zweite Stufe, dritte Stufe, … gefühlte 160 Puls. Vierte Stufe, fünfte Stufe – 5 Sekunden Pause und am Geländer anhalten. Schon hier, auf 3.500 m Höhe, zeigte also der geringe Anteil an Sauerstoff (korrekterweise der geringe Partialdruck) seine Wirkung. „EINFAHREN“ AUF 4.500 M Am Flughafen, im Hotel, in der Stadt, überall sieht man die Verhaltensregeln für die Anpassung an die Höhe: Bettruhe in den ersten 24 Stunden nach Ankunft, nicht Rauchen, absolutes Alkoholverbot, vermehrte Wasseraufnahme zur Vermeidung von Dehydrierung – und immer wieder der konkrete Hinweis: „Höhenkrankheit äußert sich in Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwindel- und Ohnmachtsgefühlen, Orientierungslosigkeit, Gedächtnisverlust …“ Erster Tag also im Hotelzimmer, am zweiten Tag beginnt die aktive Akklimatisierung und die finale Vorbereitung aufs Rennen: Sightseeing mit dem Rad. Am dritten Tag geht’s im Trainingstempo auf 4.000 m, am vierten auf 4.500 m. Der Körper funktioniert und hat sich an die Höhe angepasst: Wir messen mit dem Pulsoxymeter eine Sauerstoffsättigung Der Extrembiker DR. PETER URDL, 49, ist Techniker in der Forschungabteilung einer Elektronikfirma, lebt mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Stainz (St). Der (lt. Eigendefinition) „Sportsüchtige“ fuhr schon die Titandesert-Tour in Marokko, die Crocodile Trophy in Australien, die Mongolia Bike Challenge in der Mongolei und die Transrockies in Kanada. Nun wurde er Zweiter beim Himalayan Highest MTB-Race in Indien. KONTAKT: p.urdl@gmx.at von 93%. Dieser Wert entspricht einer idealen Anpassung an die Höhenlage von 3.500 m. Den letzten Schliff hole ich mir über die unendlichen Serpentinen auf der Südseite des Kardungh La- Passes, die GPS-Uhr zeigt erstmals über 5.000 m Seehöhe an; my heart makes bum bum … ein kleiner Vorgeschmack auf das Rennen. Im Briefing am Vorabend zur ersten Etappe erklärt uns der italienische Veranstalter sein Erfolgsrezept: 30 % Kondition und Fitness, 30 % Schlafen, Essen, Trinken, 30 % Anpassung an die Höhe, 10 % mentale Stärke. „Wenn ihr diese vier Grundbausteine mitnehmt, könnt ihr am Ende des Rennens Finisher sein.“ Na dann: Die erste Etappe kann kommen ... PROMINENTER WINDSCHATTEN Wir lassen den Startbogen mit dem Schriftzug „Himalayan Highest MTB Race“ rasch hinter uns, und folgen dem Indus-Tal flussaufwärts. Von der Schotterpiste blickt man teilweise bis zu 200 Meter tief zum Indus hinunter, links und rechts begleiten uns Sechstausender. Auf der Strecke habe ich bald einen starken Partner gefunden – Gilberto Simoni, 2-facher Sieger des Giro d’ Italia. Der einstige Superstar lässt sich hier beim Windschattenfahren nicht lang bitten, ist immer fair und bereit, abwechselnd vorne im Wind zu fahren. Zum Verständnis: Die körperliche Belastung auf dieser Höhe entspricht ca. der doppelten Belastung auf Meeresniveau. Vier Stunden Fahrtzeit auf 4.500 m Seehöhe wären ca. acht Stunden daheim in der Weststeiermark. Das gleiche gilt für die Erholung, auch da braucht der Körper doppelt so lang. Und auf dieser Höhenlage einmal im Kräftedefizit – immer im Kräftedefizit. Auf der 2. Etappe atmen wir erstmals im Renntempo „5.000 m-halbierte“-Sauerstoffpartikel. Die prachtvolle Landschaft nimmt dir zusätzlich den Atem, das Zeltlager auf 4.700 m ist schon eine echte Herausforderung. Auch hier misst der indische Arzt wieder die Sauerstoffsättigungswerte und nimmt zwei Fahrer aus dem Rennen. Mir gibt mein Messwert von 87 % auch die mentale Sicherheit, dass ich vollkommen akklimatisiert bin und meinen Körper voll belasten kann. Gut so, denn nun kommen die höchsten Himalaya-Pässe. Über unzählige Serpentinen schlängelt sich an Tag 3 der Weg zur Passhöhe, die Steigungen sind mit maximal 8 % aber relativ moderat. Zwei Stunden dauert der stetige Anstieg hinauf, dann bin ich am Tanglang La. „5.360 m“ zeigt der Höhenmesser. „THE SKY IS THE LIMIT“ Tag 4: Rauf zum 5.320 m hohen Chang La, als Belohnung dürfen wir in einem Kloster schlafen. Als hätte ich nicht schon meine ganzen Sünden abgebüßt. Die 5. Etappe führt uns entlang des Shyok-Rivers – eine Rumpelpartie im Flussbett, bei der mein vollgefedertes Scott-Spark wieder sein Können zeigt und mir zum 3. Etappensieg verhilft. Wir sind auf 3.200 m Seehöhe, der tiefste Punkt des Rennens – es fühlt sich wie in einem Sauerstoffzelt an. Der Abschluss ist das Einzelzeitfahren „The sky is the limit“ rauf auf den Kardungh La-Pass, auf 5.602 m. Eine Etappe des Quälens, der Schmerzen, der Selbstüberwindung, aber auch der Freude und überschäumenden Emotionen. Wieder geben welche der anfangs 23 Starter auf, mich aber trennen nur noch diese 55 km von meinem absoluten sportlichen Höhepunkt. Im wahrsten Sinn des Wortes – noch nie war ich dem Himmel so nah ... Nr. 5, Oktober / November 2016 67

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