RUNTER GEHT‘S MIT DEM HELI WAS FLUGRETTER UND EINE HUBSCHRAUBER- BESATZUNG IN EINEM SOMMER MIT DER „ADRENALINGESELLSCHAFT“ ALLES ERLEBEN. VON LEICHTSINN, SCHICKSALEN UND DEM EINFORDERN VON SELFIES. VON CHRISTOPHORUS HEIGL Zwei Niederländer sind im Salzburgerischen unterwegs, genauer gesagt auf der „Kleinen Göll“. Ins Gipfelbuch notieren die Bergsteiger „Runter geht’s mit dem Heli“ und malen einen Smiley dazu. Statt zu Fuß zurück ins Tal zu wandern, alarmiert das Pärchen einen Hubschrauber der Alpinpolizei. Der bringt sie auch tatsächlich ins Tal. Doch weil die alpine Notlage nicht klar ersichtlich ist und der Verdacht auf Missbrauch eines Notsignals aufkommt, werden sie angezeigt. Das Verfahren wird eingestellt, die Holländer zahlen aber eine Strafe für den 2300 Euro teuren Einsatz. Ein Fall dieser Dreistigkeit ist im Bergsommer 2018 noch nicht vorgekommen. Bergretter, Flugretter und Helikopter-Besatzungen können aber Bücher mit ihren Erzählungen füllen. Viele davon landen ohnehin als Zeitungsschlagzeilen in den Medien. Und es ist ja kein Wunder: Auf unseren Bergen ist einfach viel los, wenn wir als breite Masse wandern und als „Adrenalingesellschaft“ aufbrechen zum Freeriden, Mountainbiken, Klettern, Paragleiten und Basejumpen. Sieben Flugrettungsbetreiber gibt es in Österreich, an deren 38 Standorten hat man zu Stoßzeiten alle Hände voll zu tun. Im Winter kommen drei Standorte für Skiunfälle in Sölden, Hintertux (beide T) und Patergassen (K) hinzu. Die gewaltige Anzahl von 25.000 Flugrettungseinsätzen werden pro Jahr verzeichnet, allein die ÖAMTC-Flugrettung hatte im Vorjahr 18.251 Einsätze – das sind 50 pro Tag! Die meisten davon entfallen landesweit auf internistische Notfälle (z.B. Herzinfarkt, Atemnot) sowie normale Arbeits-, Freizeit- und Haushaltsunfälle. Noch vor Verkehrsunfällen (7,8 Prozent) bilanziert der ÖAMTC 2017 jedoch 12 Prozent der Flugrettungseinsätze nach Sport- und Freizeitunfällen im alpinen Gelände. Das Gros der Alpinunfälle verläuft unspektakulär und betrifft ein beleidigtes Sprunggelenk oder ein ver- Fotos: ÖAMTC/Postl 84 SPORTaktiv
stauchtes Knie. Interessanter ist die Liste der Kuriositäten. Da werden verletzte Touristen in Flip-Flops vom Gletscher gebracht und Schwammerlsucher ins Spital geflogen, die auf den eigenen Eierschwammerln ausgerutscht sind. Am ÖAMTC-Stützpunkt „Doch es ist nicht immer Leichtsinn oder Raserei, die zu Unfällen führen“, sagt einer, der Heli heißt, einen Heli fliegt und mit Nachnamen Holler heißt. Wir sind am Stützpunkt von „Christophorus 12“ südlich des Grazer Flughafens. Neben Pilot und Stützpunktleiter Helmut Holler sitzt die Christophorus-12-Besatzung, die heute mit ihm von 6 bis 20 Uhr Dienst hat: Notarzt Ulf Karner und Flugretter Markus Amon. Wir plaudern locker, die Sonne scheint. Die Idylle ist trügerisch. Der Verkehrstote nebenan auf der Pyhrn-Autobahn, der Herzinfarkt eines lieben Menschen und die abgestürzte Kletterin sind nur einen Notruf entfernt. In drei Minuten ist man spätestens in der Luft, in durchschnittlich 14 Minuten am Unfallort und mit dem komplett erstversorgten Patienten in statistischen 43 Minuten im nächsten Krankenhaus. Leid, Trauer und tragische Schicksale kennen die drei aus nächster Nähe. Siehe oben, es ist nicht immer Leichtsinn, „manche sind einfach zur falschen Zeit am falschen Ort“, sagt Holler nach 30 Jahren Erfahrung. „Unfälle passieren.“ Für den Fall haben Rettungskräfte dank ihrer Ausbildung Protokolle und Standards im Kopf. „Das arbeiten wir Schritt für Schritt ab, das bringt uns Sicherheit und lässt uns selbst komplexe Unfälle vor Ort gut bewältigen“, erzählt Notarzt Karner. „Die Emotionen am Unfallort dürfen sich nicht auf uns übertragen“, bestätigt Pilot Holler. Sonst kann es gefährlich werden. „Auch wir wollen am Ende des Tages den Stützpunkt wieder gesund verlassen.“ SPORTaktiv 85
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