er 27. Februar 2019 war der Tag der „Operation Aderlass“ bei der nordischen Ski-WM in Seefeld. Sieben Monate sind seither vergangen, in denen sich unter anderem zeigte, dass nicht nur Berufssportler die Dienste des Netzwerkes in Anspruch genommen haben, sondern auch solche, die man in die Kategorie des (leistungsorientierten) Freizeit sports einordnen kann. Am 7. Juli des Jahres wurde „Aktion Viribus“ durchgeführt. Bei der bislang größten Anti-Doping-Razzia von Europol wurden in 33 Ländern Europas 234 Menschen festgenommen, Geheimlabore aufgedeckt, 3,8 Millionen Dopingpräparate und 22 Tonnen Steroidpulver sichergestellt. Als Drehscheibe des Netzwerkes wurde Wien genannt. Zielgruppe der Präparate: Breitensportler. Die Info, dass auch im Freizeitsport gedopt wird, ist nicht neu – trotzdem steht bei jeder dieser Meldungen immer wieder eine simple Frage im Raum. Während die Motiv lage im Berufssport zumindest mit ökonomischen Motiven nachvollziehbar ist, sieht das im Freizeitsport anders aus. Da wird viel Geld in Doping investiert, es werden schwerwiegende mögliche Gesundheitsfolgen in Kauf genommen – für Altersklassensiege, einen gefinishten Wettkampf oder einen Waschbrettbauch. Warum? Die Studienlage Der deutsche Sportwissenschafter Pavel Dietz kann zumindest die Größenordnung des Problems gut einschätzen. Er kennt die internationale wissenschaftliche Studienlage und hat selbst jahrelang über Doping im Freizeitsport geforscht. 2013 ließ er 3000 Teilnehmer (Nichtprofis) bei zwei Ironman-Veranstaltungen und einem Ironman 70.3 in Deutschland einen Fragebogen anonym ausfüllen. Eine der Fragen war, ob die Sportler im Jahr vor dem Wettkampf zumindest einmal eine Substanz zur Leistungssteigerung eingenommen hätten, die „es nur in der Apotheke, beim Arzt oder auf dem Schwarzmarkt gibt (z.B. anabole Steroidhormone, EPO, Wachstumshormone, Aufputschmittel)“? 13 Prozent bejahten die Frage, beim Ironman in Frankfurt waren es sogar 20 Prozent. Für Dietz keine Überraschung. „Es gibt in zwei Bereichen des Freizeitsports eine recht gute Studienlage: Zum einen im Ausdauersport, etwa im Marathonlaufen. Zum anderen im Fitnesssport.“ WER IST GRÖSSER, REICHER, HAT EIN SCHÖNERES HAUS ODER EINEN BES SEREN OBERKÖR PER: DER SOZIALE VERGLEICH IST EINE MENSCH LICHE GRUND KOMPONENTE. Im Outdoorsport etwa gebe es dagegen kaum Untersuchungen. 10 bis 20 Prozent dopende Freizeitsportler sei ein immer wieder auftauchender Wert, der in Studien ermittelt werde. Dietz hat auch untersucht, ob Schachspieler sogenanntes Neuro-Enhancement betreiben, also Mittel (wie z. B. Ritalin) einnehmen, um ihre Geistesleistung zu steigern. Immerhin acht Prozent bekannten sich zum „Hirndoping“. Der soziale Vergleich Es sei ein Irrtum, dass es im Hobbysport nur um die „goldene Ananas“ geht, sagt der Sportpsychologe Alois Kogler. „Vom Kinderwagen an geht es um den sozialen Vergleich. Wer ist größer, reicher, hat ein schöneres Haus oder einen besseren Oberkörper“, spricht der Psychologe aus, was viele vielleicht bloß denken. „Das ist eine menschliche Grundkomponente.“ Der Vergleich sei ein wesentlicher Faktor, der Sport attraktiv mache. Ein erfolgreicher Vergleich wirke aufs Belohnungssystem im Gehirn. Noch stärker in einem Zustand höherer Erregung, also etwa unmittelbar nach einer körperlichen Anstrengung. Die Tendenz zum sozialen Vergleich sei wohl in unseren Gehirnen verankert, erklärt Kogler. Der Psychologe sagt auch: „Es gibt keine gesellschaftliche Struktur, in der es den sozialen Vergleich nicht gegeben hätte. Ohne würde es auch keinen Fortschritt geben.“ Kogler sieht zahlreiche Parallelen zwischen den „Erfolgsregeln der Wirtschaft“ und dem Leistungsvergleich im Sport. Die Doping-Persönlichkeit „Wir registrieren ganz klar, dass Doping im Breitensport angekommen ist“, sagt Foto: iStock 16 SPORTaktiv
DOPING: DARUM WENN PROFISPORTLER DOPEN, LÄSST SICH DAS MIT STICHWORTEN WIE „KARRIERE“, „EXISTENZ“ ODER „FINANZIELLER ERFOLG“ WENIGSTENS IM ANSATZ ERKLÄREN. UMGANGSSPRACHLICH: „WEIL’S UM WAS GEHT.“ WARUM ABER DOPEN FREI- ZEITSPORTLER? VERSUCH EINER ANNÄHERUNG. VON CHRISTOF DOMENIG UND CHRISTOPH HEIGL David Müller von der österreichischen Anti-Doping-Agentur NADA (siehe Folgegeschichte). Wobei er präzisiert, dass in diesem Bereich „Medikamentenmissbrauch“ oft das treffendere Wort ist. Im Hobby- und Breitensport sieht Müller salopp formuliert einen für Doping anfälligen Typen: „Der Mann im mittleren Alter, der es noch einmal beweisen will.“ 80 Prozent der NADA-Fälle sind männlich. „Man könnte grundsätzlich also festhalten, Doping ist ein männliches Phänomen.“ Für Müller ist es zum einen das Ego, das Bestreben, schneller und stärker zu sein als der Nachbar, der Kollege. Dafür wird viel investiert: Zeit, Geld, Ressourcen. „Es gibt im Breitensport Fanatiker, die trainieren auf Fast-Profiniveau.“ Wenn es nicht die pure Leistung ist, kann es zum anderen im Hobbysport auch das reine Körperbild sein, das zu unerlaubten Mitteln greifen lässt. „Der sportliche, athletische Körper ist das Ziel.“ Das betrifft hier speziell jugendliche Burschen und Männer, die etwa schnell einen ansehnlichen Bizeps antrainieren wollen, aber auch Frauen, die im Streben um den fitten Körper zu Schlankheitspillen, Fatburner und Co. greifen. „Wobei wir da nicht von verbotener Leistungssteigerung, sondern eher von einem Gesundheitsproblem sprechen, wenn Menschen mit schädigenden Mitteln ihren Körper formen wollen.“ Die Einschätzung bestätigt auch der Psychologe Kogler: „Das Verhältnis zwischen dopenden Männern und Frauen beträgt nach meiner Erfahrung 4:1.“ Warum? „Weil Frauen sich mehr um ihre Gesundheit SPORTaktiv 17
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